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Die unvollendete Autobiographie, Seite 162 ff. (engl.)
Schwäche, die ihre Vorstellungen über Gott, seine Eifersucht, seine Rachsucht und allerhand Blutdürstigkeit zum Ausdruck bringt. Man sagt, dass grosse Komponisten ihre Symphonien und Choräle mit einem inneren Ohr aufnehmen und dann in Noten übersetzen. Von woher erhalten unsere grossen Dichter und Künstler seit altersher ihre Inspiration? Alle schöpfen aus einer inneren Quelle der Schönheit.

Die Behandlung dieses Themas ist dadurch erschwert worden, dass es so viele metaphysische und spiritistische Schriften gibt, die auf einer so niedrigen Intelligenzstufe stehen und ihrem Inhalt nach so gewöhnlich und so mittelmässig sind, dass gebildete Leute darüber lachen und sich überhaupt nicht die Mühe machen, sie zu lesen. Ich möchte deshalb zeigen, dass es eine andere Art von Beeindruckung und Inspiration gibt, die zu literarischen Werken führt, welche weit über dem Durchschnitt stehen und Lehren vermitteln, die künftige Generationen notwendig brauchen. Ich sage das ohne jede Überheblichkeit, denn ich bin ja bloss eine Feder oder ein Bleistift, eine Stenographin oder Vermittlerin von Lehren eines Grossen, den ich achte und verehre und dem ich mit Freuden gedient habe.

Im November 1919 kam ich zum erstenmal mit dem Tibeter in Verbindung. Ich hatte die Kinder zur Schule geschickt, wollte mir ein paar freie Minuten gönnen und ging auf einen Hügel, nicht weit von unserem Haus. Ich setzte mich und begann nachzudenken, als ich plötzlich auffuhr und aufhorchte. Mir war, als ob ich eine klare musikalische Note hörte, die vom Himmel her durch den Hügel hindurch und in mir ertönte. Dann hörte ich eine Stimme, die mir sagte: «Es ist erwünscht, dass einige Bücher geschrieben und veröffentlicht werden. Sie können sie schreiben. Wollen sie das tun?» Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, antwortete ich: «Auf keinen Fall. Ich bin kein erbärmliches Medium und ich will mich auch in nichts dergleichen einlassen». Ich war erstaunt, als ich mich selbst laut sprechen hörte. Die Stimme fuhr fort, dass kluge Leute keine voreiligen Entschlüsse treffen, dass ich eine besondere Begabung für höhere Telepathie besässe, und dass von mir nichts verlangt würde, was irgendwie mit niederem Psychismus zu tun hätte. Ich antwortete, das wäre mir egal, ich hätte keinerlei Interesse an psychischer Betätigung irgendwelcher Art. Der Unsichtbare der so klar und direkt zu mir sprach, sagte dann, er würde mir Zeit zum Überlegen geben; er lasse meine Antwort nicht gelten und werde in genau drei Wochen wiederkommen und sich nach meiner Absicht erkundigen.

Dann schüttelte ich mich, als ob ich aus einem Traum erwachte, ging nach Hause und vergass den ganzen Vorfall. Ich dachte mit keinem weiteren Gedanken daran und sprach nicht einmal zu Foster darüber. Auch in der Zwischenzeit erinnerte ich mich nicht daran, aber siehe da, nach Ablauf von drei Wochen wurde ich wiederum angesprochen, als ich eines Abends in meinem Wohnzimmer sass, nachdem ich die Kinder ins Bett gebracht hatte. Wiederum lehnte ich ab, aber der Sprecher redete mir zu, ich sollte wenigstens ein paar Wochen lang versuchen, was ich tun könnte. Ich wurde allmählich neugierig, war aber nicht im geringsten überzeugt. Ich beschloss, es ein paar Wochen oder einen Monat lang zu versuchen, und dann würde ich zu einer Entscheidung kommen. Während dieser wenigen Wochen erhielt ich die ersten Kapitel von «Initiation, Menschliche und Solare Einweihung».

Ich möchte eindeutig klarlegen, dass meine Arbeit mit automatischer Schrift ganz und gar nichts zu tun hat. Automatisches Schreiben ist - ausser in sehr seltenen Fällen (und leider denken die meisten, ihr Fall sei eine seltene Ausnahme) - sehr gefährlich. Es wird von keinem Aspiranten oder Jünger erwartet, dass er ein Automat ist. Man setzt voraus, dass er niemals bewusste Kontrolle über irgendeinen Teil seiner geistigen Ausrüstung aus der Hand gibt. Tut er das dennoch, dann begibt er sich in einen Zustand gefährlicher Negativität. Das unter solchen Umständen normalerweise empfangene Material ist mittelmässig; es enthält nichts Neues und verschlechtert sich häufig im Lauf der Zeit. Sehr oft kommt es vor, dass die Negativität des Betreffenden einer zweiten Kraft Zutritt gewährt, die merkwürdigerweise nie auf einer so hohen Stufe steht, wie die erste. Dann entsteht die Gefahr der Besessenheit. Wir haben viele Fälle von Besessenheit behandeln müssen, die auf automatische Schrift zurückzuführen waren.

Bei der von mir geleisteten Arbeit gibt es keine Negativität, denn meine Einstellung besteht in intensiver, positiver Aufmerksamkeit. Ich bleibe dabei Herr all meiner Wahrnehmungssinne und tue nichts, was irgendwie automatisch wäre. Ich horche einfach, schreibe die gehörten Worte nieder und halte die Gedanken fest, die nacheinander in mein Gehirn hineingesenkt werden. Ich mache keine Änderungen und veröffentliche den gleichen Text, den ich empfangen habe, abgesehen davon, dass ich das Englisch vielleicht etwas ausglätte oder ein ungewöhnliches Wort durch ein klareres ersetze, wobei ich stets den ursprünglichen Sinn aufrecht erhalte. Ich habe nie irgend etwas geändert, was der Tibeter mir gegeben hat. Wenn ich das auch nur einmal täte, würde er mir nie wieder diktieren. Das möchte ich durchaus klarstellen. Ich verstehe nicht immer, was mir gegeben wird, und ich stimme auch nicht immer damit überein. Ich schreibe es nur ehrlich auf und entdecke dann später, dass es Sinn hat und ein intuitives Echo hervorruft.

Das Werk des Tibeters ist vielen Leuten und besonders Psychologen in der ganzen Welt ein Rätsel. Sie streiten sich um die Ursache dieses Phänomens und kommen dabei zur Annahme, dass das, was ich schreibe, wahrscheinlich aus meinem Unterbewusstsein herrührt. Man hat mir erzählt, dass Jung sich auf den Standpunkt stellt, dass der Tibeter mein personifiziertes, höheres Selbst, und Alice A. Bailey das niedere Selbst ist. Gelegentlich einmal (wenn ich je das Vergnügen habe, ihn kennenzulernen) werde ich ihn fragen, wie mein personifiziertes höheres Selbst mir aus dem fernen Indien Pakete schicken kann, denn das hat er bereits getan.

Vor einigen Jahren machte sich ein sehr guter Freund, der Foster und mir seit Anbeginn des Werkes treu zur Seite gestanden war - Mr. Henry Carpenter - auf den Weg nach Indien, um zu versuchen, die Meister in Shigatse, einer kleinen Eingeborenenstadt im Himalayagebirge - knapp jenseits der tibetanischen Grenze - zu erreichen. Er machte diesen Versuch dreimal, obwohl ich ihm versicherte, er könne die Meister direkt hier in New York finden, wenn er nur die richtigen Vorkehrungen träfe, und die Zeit dazu reif sei. Er hatte, sehr zu meiner Belustigung, das Gefühl, den Meistern sagen zu müssen, dass ich mich viel zu sehr abplage, und sie sollten zusehen, dass dagegen etwas geschehe. Da er mit Lord Reading, dem vormaligen Vizekönig von Indien, persönlich befreundet war, wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um ihn an seinen Bestimmungsort zu bringen, aber der Dalai Lama verweigerte ihm die Genehmigung zum Grenzübertritt. Als er bei seiner zweiten Reise nach Indien in Gyantse angekommen war (am äussersten Punkt, bis wohin er nahe der Grenze herankommen durfte), hörte er einen grossen Tumult auf dem Gelände der Poststation. Er ging hin um nachzusehen, was los sei, und fand einen Lama, der auf einem Esel sass und gerade angekommen war. In seinem Gefolge befanden sich vier weitere Lamas, und alle Eingeborenen drängten sich um sie herum und verneigten sich. Durch seinen Dolmetscher erkundigte sich Mr. Carpenter, und man sagte ihm, der Lama sei der Abt eines Klosters jenseits der Grenze, und er sei ausdrücklich zu dem Zweck heruntergekommen, um Mr. Carpenter zu sprechen.

Der Abt sagte ihm, er sei an unserem Werk interessiert und erkundigte sich nach mir. Er fragte nach der Arkanschule und gab ihm zwei grosse Bündel Weihrauch für mich. Später besuchte Mr. Carpenter den General Laden Lha in Darjeeling. Der General ist ein Tibeter, der in England eine höhere Schule und die Universität besucht hat, und der damals den Geheimdienst an der tibetanischen Grenze leitete. Er ist inzwischen gestorben, aber er war ein grosser und guter Mensch. Mr. Carpenter erzählte ihm von seiner Begegnung mit diesem Lama und sagte ihm, er sei der Abt eines gewissen Lamaklosters. Der General leugnete diese Möglichkeit rundweg ab. Er sagte, der Abt sei ein sehr grosser und heiliger Mann, und es sei noch nie vorgekommen, dass er über die Grenze gekommen sei oder einen Westländer besucht habe. Als Mr. Carpenter jedoch im darauffolgenden Jahr wiederkam, gab General Laden Lha zu, dass er sich geirrt habe; der Lama sei damals wirklich seinetwegen gekommen.

Als ich ungefähr einen Monat lang für den Tibeter geschrieben hatte, bekam ich es vollends mit der Angst zu tun und weigerte mich glattweg, weiterzumachen. Ich sagte dem Tibeter, die drei kleinen Mädchen hätten nur mich auf der Welt, und wenn ich krank würde oder den Verstand verlöre, dann wären sie ganz allein, und dieses Risiko wagte ich einfach nicht auf mich zu nehmen. Er fügte sich in meine Entscheidung, bat mich aber, den Versuch zu machen, mit meinem Meister K. H. in Verbindung zu treten und die Sache mit ihm zu besprechen. Nachdem ich mir das ungefähr eine Woche lang überlegt hatte, beschloss ich, mit K. H. in Verbindung zu treten, und ich traf die nötigen Vorkehrungen gemäss einer bestimmten Technik, die er mir beigebracht hatte. Als mir schliesslich Gelegenheit zu einer Besprechung mit K. H. gegeben wurde, besprachen wir die ganze Angelegenheit eingehend. Er versicherte mir, dass ich weder psychisch noch mental irgend etwas zu befürchten hätte, und dass es für mich eine Gelegenheit wäre, wirklich wertvolle Arbeit zu leisten. Er sagte, er selbst sei es gewesen, der mich dem Tibeter als Hilfe vorgeschlagen habe; er wolle mich nicht in den Ashram (oder die geistige Gruppe) des Tibeters überweisen, sondern er wolle, dass ich weiter in seinem Ashram arbeite. Ich folgte also dem Wunsch von K. H. und teilte dem Tibeter mit, dass ich mit ihm weiterarbeiten würde. Ich bin seitdem lediglich seine Gehilfin und Sekretärin gewesen und bin kein Mitglied seiner Gruppe. Er hat sich nie in meine persönliche Arbeit oder Schulung eingemischt. Im Frühjahr 1920 begann für mich eine sehr glückliche Zeit der Zusammenarbeit mit ihm, während ich gleichzeitig als älterer Jünger im Ashram meines eigenen Meisters tätig blieb.

Seitdem habe ich viele Bücher für den Tibeter geschrieben. Kurz nach Beendigung der ersten Kapitel von «Menschliche und Solare Einweihung» zeigte ich B. P. Wadia das Manuskript. Er war sehr aufgeregt und sagte mir, er würde alles veröffentlichen, was «aus dieser Quelle» käme, und er brachte auch die ersten Kapitel in «The Theosophist», einer in Adyar in Indien erscheinenden Zeitschrift heraus. Dann setzte die übliche theosophische Eifersucht und reaktionäre Einstellung ein, und es wurde nichts weiter abgedruckt.

Der Stil des Tibeters hat sich im Lauf der Jahre gebessert. Anfänglich diktierte er in einem schwerfälligen, schlechten Englisch, aber wir haben uns schliesslich auf einen Stil und eine Darstellung geeinigt, die den grossen Wahrheiten angepasst sind, die zu enthüllen seine Aufgabe ist; mir und meinem Mann obliegt es, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Zu Beginn meiner Tätigkeit für den Tibeter musste ich zu bestimmten Stunden schreiben; es handelte sich um ein klares, knappes und bestimmtes Diktat. Es wurde mir Wort für Wort gegeben und zwar so, dass ich sagen könnte, ich hörte deutlich ein Stimme. Man könnte also sagen, dass ich am Anfang eine hellhörende Technik benutzte, aber in dem Mass, wie sich unser Denken aufeinander abstimmte, fand ich bald heraus, dass das unnötig war, und dass ich mich bloss genügend zu konzentrieren und meine Aufmerksamkeit entsprechend zu sammeln brauchte, um die einströmenden Gedanken des Tibeters (d.h. seine klar formulierten und ausgedrückten Ideen) aufzunehmen und niederzuschreiben. Dazu gehört die gespannte und beharrliche Aufmerksamkeit. Es ist etwas Ähnliches wie die Fähigkeit des fortgeschrittenen Meditationsschülers, der das von ihm erreichte Niveau geistiger Aufmerksamkeit auf seinem höchstmöglichsten Punkt festzuhalten weiss. Das kann am Anfang sehr ermüdend wirken, wenn man sich vielleicht gar zu sehr um den Erfolg bemüht, aber später macht es gar keine Mühe mehr; es ergibt sich daraus eine Klarheit des Denkens und eine Stimulierung, die bestimmt eine günstige, physische Wirkung haben.

Nach siebenundzwanzigjähriger Arbeit für den Tibeter kann ich mich jetzt ohne die geringste Mühe jederzeit mit ihm telepathisch in Verbindung setzen. Dabei kann ich mein eigenes Denken unvermindert aufrecht erhalten und auch jederzeit Einwendungen erheben, wenn es mir - als Westländerin - gelegentlich so scheint, als wisse ich besser als er, wie man sich ausdrücken sollte. Wenn es zu irgendwelchen Meinungsverschiedenheiten zwischen uns kommt, schreibe ich unweigerlich den Text so, wie er es wünscht; es kommt aber auch vor, dass er seine Darstellung abändert, nachdem er mit mir darüber gesprochen hat. Ändert er seine Worte und seinen Standpunkt nicht, dann mache ich auch keinerlei Änderungen an dem, was er gesagt hat.

Schliesslich sind es doch seine, und nicht meine Bücher, und er ist im Grund dafür verantwortlich. Er lässt keine Fehler durchgehen und überwacht den endgültigen Text mit grosser Sorgfalt. Es handelt sich also nicht bloss darum, dass ich sein Diktat aufnehme und ihm dann später die Reinschrift vorlege. Die Hauptsache ist vielmehr seine sorgfältige Überwachung des endgültigen Textes. Ich betone das absichtlich, da viele Leute, denen etwas, was der Tibeter sagt, persönlich nicht einleuchtet, leicht zu der Ansicht neigen, ich hätte die

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.