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Die unvollendete Autobiographie, Seite 137 ff. (engl.)

So las ich, studierte und dachte nach. Mein Denkvermögen erwachte, als ich mich mit den dargebotenen Ideen abmühte und meine eigenen Anschauungen mit den neuen Begriffen in Einklang zu bringen suchte. Dann lernte ich zwei sehr alte Damen kennen, die nebeneinander in zwei kleinen Landhäuschen lebten. Sie waren einander unentbehrlich und stritten sich ständig. Beide waren persönliche Schülerinnen von H. P. Blavatsky und hatten mit ihr zusammen studiert und ihre Ausbildung erfahren.

Ich war gerade mit ihrem grossen Buch «Die Geheimlehre» bekannt geworden. Es interessierte mich lebhaft, aber es verwirrte mich vollkommen. Ich konnte einfach nicht daraus klug werden. Es ist ein schwieriges Buch für Anfänger, denn es ist schlecht zusammengestellt und hat keinen einheitlichen Zusammenhang. H. P. B. fängt mit einem Thema an, gerät in ein anderes hinein, bespricht ein drittes in allen Einzelheiten, und wenn man danach sucht, findet man schliesslich, dass sie sechzig oder siebzig Seiten später auf ihr ursprüngliches Thema zurückkommt.

Claude Falls Wright, H. P. Blavatskys Sekretär, hat mir selbst erzählt, dass H. P. B. beim Abfassen ihres monumentalen Werkes (denn das ist es zweifellos) eine Seite nach der anderen schrieb, ohne diese zu numerieren, und dass sie dann die fertigen Seiten einfach neben sich auf den Boden warf. Wenn sie mit ihrer Tagesarbeit fertig war, pflegte dann Mr. Wright und ihre anderen Gehilfen die Blätter aufzusammeln und dabei zu versuchen, diese irgendwie in eine Reihenfolge zu bringen; er sagt, es sei ein Wunder, dass das Buch überhaupt so klar herauskam. Die Veröffentlichung dieses Buches war indessen ein Weltereignis, und die darin enthaltene Lehre hat das menschliche Denken von Grund auf umgewandelt, so wenig man das auch klar erkennen mag.

Die Stunden, die ich dem Studium dieses Buches gewidmet habe, betrachte ich als einige der wertvollsten meines Lebens, und die erhaltene Wissensgrundlage hat mich zu meinen besten Leistungen auf okkultem Gebiet befähigt. Ich sass nachts im Bett und las die «Geheimlehre», und vernachlässigte allmählich meine bisherige Gewohnheit, die Bibel zu lesen. Ich liebte das Buch, und dabei war es mir doch in mancher Beziehung im Herzen zuwider. Ich hielt es für schlecht abgefasst, ungenau und unzusammenhängend, und kam doch nicht mehr davon los.

Dann nahmen sich diese beiden alten Damen meiner an. Tagein tagaus erteilten sie mir wochenlang Unterricht. Um ihnen näher zu sein, bezog ich in ihrer Nachbarschaft ein kleines Haus. Die Kinder konnten dort ohne Gefahr im Garten spielen und auf die Bäume klettern, ohne dass ich mich um sie zu sorgen brauchte. Während sie spielten, sass ich dann gewöhnlich auf der Veranda im Haus einer der beiden Damen, unterhielt mich mit ihnen und hörte ihnen zu. Viele von H. P. B.'s persönlichen Schülern haben mir geholfen und sich persönlich bemüht, mir klarzumachen, welchen Einfluss die Veröffentlichung der «Geheimlehre» auf das menschliche Denken ausgeübt hat. Ich habe oft über die orthodoxen Theosophen lachen müssen, die meine Darstellung theosophischer Wahrheit missbilligten. Wenige, wenn überhaupt jemand von denen, die auf diese Weise gegen mich auftraten, haben je den Vorzug gehabt, wochen- und monatelang von persönlichen Schülern der H. P. B. unterrichtet zu werden, und ich glaube bestimmt, dass ich dank diesen alten Schülern eine klarere Vorstellung von der eigentlichen Bedeutung der «Geheimlehre» habe als sie. Warum auch nicht? Ich erhielt guten Unterricht, und bin dafür dankbar.

Ich war der Theosophischen Loge in Pacific Grove beigetreten und begann Unterricht zu erteilen und Vorlesungen zu halten. Ich erinnere mich noch an das erste Buch, das ich auszulegen begann. Es war jenes grosse Buch von Annie Besant «Eine Betrachtung über Bewusstsein» (A Study in Consciousness). Ich wusste nichts von Bewusstsein und konnte den Begriff unmöglich definieren, aber ich blieb der Klasse immer sechs Seiten voraus und brachte es auf diese Weise fertig, mich irgendwie durchzuschlagen. Sie fanden nie heraus, wie wenig ich wusste. Was immer die Klasse gelernt haben mag, das weiss ich jedenfalls, dass ich selbst sehr viel dabei lernte.

Was war es nun eigentlich, was ich lernte und was mein fragendes Denken und mein beunruhigtes Herz zu befriedigen begann? Ich fand mich auf dem Höhepunkt uferlosen Unbefriedigtseins mir selbst überlassen. Ich war damals nur von zwei Dingen absolut überzeugt, nämlich von der Tatsache Christi und von gewissen inneren Kontakten, die ich unmöglich leugnen konnte, ohne mir dabei selbst untreu zu werden, obwohl ich sie nicht erklären konnte. Jetzt ging mir zu meinem Erstaunen allmählich ein Licht auf. Ich entdeckte drei (für mich) neue Grundideen, die mit der Zeit in mein allgemeines, geistiges Lebensprogramm hineinpassten und mir einen Schlüssel zum Weltgeschehen gaben. Dabei darf man nicht vergessen, dass damals gerade die erste Phase des Weltkrieges (1914-1918) im Gang war, während ich diese Zeilen gegen Ende der zweiten Phase (1939-1945) schreibe.

In erster Linie entdeckte ich, dass es einen grossen, göttlichen Plan gibt. Ich stellte fest, dass unser Universum kein «zufälliges Zusammentreffen von Atomen», sondern vielmehr die Ausführung eines grossen Projektes oder Entwurfes ist, die Gottes Herrlichkeit zum letzten Ziel hat. Ich stellte fest, dass eine Rasse nach der anderen auf unserem Planeten erschienen und wieder verschwunden war, und dass jede Kultur und Zivilisation die Menschheit auf dem Pfad ihrer Rückkehr zu Gott immer wieder einen Schritt weitergebracht hatte. Zweitens entdeckte ich das Vorhandensein derjenigen, die für die Durchführung dieses Planes verantwortlich sind und welche die Menschheit Schritt für Schritt von einem Entwicklungsstadium zum andern durch die Jahrhunderte hindurch geführt haben. Ich machte die (ob meines geringen Wissens) erstaunliche Entdeckung, dass die Lehre über diesen Pfad oder Plan überall dieselbe war, ganz gleich, ob sie im Osten oder im Westen, ob sie vor oder nach Christi Geburt im menschlichen Bewusstsein aufgetaucht war. Ich fand heraus, dass das Haupt dieser Hierarchie geistiger Führer Christus ist, und als mir das klar wurde, da fühlte ich, dass er mir in noch engerer und vertrauterer Form wiedergegeben worden war. Ich fand heraus, dass er der «Meister aller Meister und der Lehrer der Engel sowohl als auch der Menschen» war. Ich kam darauf, dass die Meister der Weisheit seine Schüler und Jünger sind, so, wie ich und andere Gleichgesinnte Schüler irgendeines Meisters sind. Wenn ich in meinen orthodoxen Tagen von Christus und seiner Kirche gesprochen hatte, so wusste ich jetzt, dass ich eigentlich Christus und die planetarische Hierarchie meinte. Ich fand, dass die esoterische Darstellung der Wahrheit in keiner Weise Christus verkleinerte. Er war in der Tat Gottes Sohn, der Erstgeborene in einer grossen Familie von Brüdern, wie uns der hl. Paulus versichert hatte, und der Bürge für unsere eigene Göttlichkeit.

Die dritte Lehre, die ich entdeckte, und die mir lange Zeit schwer zu schaffen machte, war der Doppelglaube an das Gesetz der Wiedergeburt und das Gesetz von Ursache und Wirkung, was die Theosophen, die sich oft und gern gelehrt ausdrücken, Karma und Reinkarnation nennen. Persönlich glaube ich, dass diese an sich höchst notwendige Lehre einen weit schnelleren Fortschritt gemacht hätte, wenn sich die Theosophen nicht so von den Sanskritbegriffen hätten berauschen und verblenden lassen. Wenn sie von der Lehre der Wiedergeburt anstatt von der Reinkarnation gesprochen und das Gesetz von Ursache und Wirkung anstelle des Gesetzes von Karma dargestellt hätten, dann hätte die Wahrheit vielleicht eine allgemeinere Anerkennung gefunden. Das sage ich nicht im kritischen Sinn, denn ich selbst fiel dieser Verblendung zum Opfer. Wenn ich jetzt so an meine ersten Unterrichtskurse und Vorlesungen zurückdenke, dann muss ich über die hochtrabende Art lachen, mit der ich die technischen Einzelheiten und Bedeutungen der Ewigen Weisheit in gewichtigen Sanskritausdrücken erläuterte. Je älter ich werde, um so einfacher scheine ich zu werden, und vielleicht bin ich auch ein wenig weiser geworden.

Mit der Entdeckung, dass es ein Gesetz der Wiedergeburt gibt, erschienen mir viele meiner persönlichen und individuellen Probleme lösbar. Viele, die das Studium der Ewigen Weisheit aufnehmen, finden es am Anfang schwer, das Gesetz der Wiedergeburt als Tatsache anzuerkennen. Es scheint so umwälzend zu sein und erweckt so leicht ein Gefühl der Ermüdung und geistigen Abspannung. Ein Leben allein scheint schon hart genug, gar nicht zu denken an viele andere Leben, vergangene und künftige. Wenn man jedoch andere, von dieser Theorie abweichende Möglichkeiten überprüft, dann erscheint sie am Ende doch als die beste und überzeugendste von allen. Es gibt überhaupt nur zwei andere Theorien, die wirklich ernste Beachtung verdienen. Eine davon ist die mechanistische Weltanschauung, die den Menschen lediglich als materiell, seelenlos und vergänglich betrachtet, und nach der er sich bei seinem Tod wieder in den Staub auflöst, aus dem er hervorgegangen war. Denken ist nach dieser Theorie bloss eine Absonderung und Betätigung des Gehirns, genauso, wie andere Organe ihre ganz bestimmten Absonderungen in wahrnehmbarer Form hervorbringen; das menschliche Dasein entbehrt demnach jeder Zweckbestimmung und jeder Begründung. Diese Ansicht konnte ich nicht annehmen, und sie ist auch nirgends weit verbreitet.

Dann gibt es die Theorie der «einmaligen Schöpfung» der orthodoxen Christen, und diese hatte auch ich angenommen, ohne mir über ihre Wahrscheinlichkeit irgendwelche Gedanken zu machen. Sie setzt einen unerforschlichen Gott voraus, der menschliche Seelen in einem einzigen Leben inkarnieren lässt, dessen kurze Spanne dann entsprechend ihrem Handeln und Denken ihre ewige Zukunft entscheiden soll. Diese Theorie lässt den Menschen ohne jede Vergangenheit, sie räumt ihm nur eine wichtige Gegenwart und eine endlose Zukunft ein - eine Zukunft, die von den Entscheidungen eines einzigen Lebens abhängt. Was Gott dazu bestimmt, dem einzelnen Menschen seine besondere Stellung, Erziehung und Ausrüstung anzuweisen, bleibt unbekannt. Was er nach diesem «einmaligen Schöpfungs»-Plan tut, entbehrt jeder Begründung. Ich hatte mir über die offensichtliche Ungerechtigkeit Gottes schon soviel Gedanken gemacht. Warum sollte gerade ich unter solch günstigen Umständen geboren worden sein, mit Geld, gutem Aussehen, mancherlei günstigen Gelegenheiten und den vielen, interessanten Erfahrungen, die mir das Leben gebracht hatte? Warum sollte es Leute geben, wie den ärmlichen, kleinen Soldaten, vor dem mich Miss Sandes gerettet hatte, der ohne jede geistige Ausrüstung geboren war und offensichtlich jeder Erziehung ermangelte, der weder Geld noch die Befähigung besass, in diesem Leben irgendwelchen Erfolg zu erzielen? Erst jetzt wusste ich, warum ich ihn Gott überlassen konnte; jetzt verstand ich, dass sowohl er als auch ich auf verschiedenen Standorten, von einem Leben zum anderen, die Evolutionsleiter emporklimmen würden, bis sich eines Tages für beide von uns in gleicher Weise das Wort bewahrheiten würde: «Gleich wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt».(1. Joh. 4, 17)

«Was der Mensch sät, das wird er auch ernten» (Gal. 6, 7) erschien mir ein vernünftiges Wort zu sein und ich entdeckte mit Freude, dass ich den Apostel Paulus und sogar Christus als Zeugen für diese Lehren anführen durfte. Klares Licht kam in die alte Theologie. Ich entdeckte, dass der einzige Übelstand in der menschlichen Auslegung der Wahrheit lag, und es wurde mir klar, wie albern es ist, dass wir dies oder jenes hinnehmen sollen, bloss weil irgendein gelehrter Kanzelredner oder Theologe es als Gottes Meinung hinstellt. Er könnte ja recht haben, und in diesem Fall könnte man das auch intuitiv nachempfinden; aber die Intuition tritt erst dann in Kraft, wenn das Denkvermögen entwickelt ist, und daran hat es eben vielfach gehapert. Die grosse Masse der Menschen denkt nicht, und der orthodoxe Theologe findet daher stets Anhänger, ganz gleich, was er sagen mag. Trotz bester Absichten nutzt er die Gedankenlosen aus. Es wurde mir auch klar, dass wirklich kein Grund dafür besteht, eine bestimmte sechshundert Jahre alte (und wahrscheinlich der damaligen Zeit angepasste) Bibelauslegung eines Priesters oder Lehrers auch heute, in einer ganz anderen Zeit und mit einer ganz anderen Zivilisation und grundverschiedenen Problemen, als annehmbar zu betrachten. Wenn Gottes Wahrheit wirklich wahr ist, dann wird sie erweiterungsfähig und inklusiv, nicht aber reaktionär und exklusiv sein. Wenn Gott wirklich Gott ist, dann wird seine Göttlichkeit sich der göttlichen Entfaltung der Gottessöhne anpassen, und ein heutiger Gottessohn dürfte immerhin ein ganz anderer Repräsentant des Göttlichen sein, als einer seiner Vorfahren vor fünftausend Jahren.

Man sieht also, wie mein gesamter, geistiger Horizont sich erweiterte. Der Himmel lichtete sich, und ich war nicht länger ein vereinzelter, verlassener und sich mühender Jünger, der nichts Genaues weiss und auch kein klares Ziel vor Augen hat. Es wurde mir allmählich klar, dass ich einer grossen Brudergemeinschaft angehörte. Es leuchtete mir ein, dass es mir freistand, am grossen Plan mitzuwirken, meine Mitarbeiter aus früheren Leben ausfindigzumachen, eine möglichst fruchtbringende Saat zu säen und meinen Platz im Werk Christi einzunehmen. Ich wollte mich bemühen, etwas näher an jene geistige Hierarchie heranzukommen, von deren Bestehen ich in meinem Unterbewusstsein stets überzeugt gewesen war und die anscheinend Helfer brauchte.

Das waren die Dinge, die sich in den Jahren 1916 und 1917 stufenweise in meinem Bewusstsein entfalteten. Sie zeigten sich nicht als klarumrissene und

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.