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Die unvollendete Autobiographie, Seite 105 ff. (engl.)
für sie gelöst. Ich erinnere mich, dass einmal ein Negerprofessor namens Dr. Franklin vom Lane Theological Seminary eingeladen wurde, an die Studentenschaft eine Ansprache zu halten. Als wir aus der Kapelle herauskamen, blieb ich mit meinem Mann und einigen Professoren eine Weile stehen, und wir unterhielten uns gerade über die wunderbare Ansprache, als Dr. Franklin an uns vorbeikam. Einer der Professoren hielt ihn an und gab ihm Geld für ein Mittagessen. Er war also nicht einmal gut genug, mit uns anderen zu essen, obwohl er zu uns über geistige Werte sprechen konnte. Ich war so entsetzt, dass ich mit meinem gewöhnlichen Ungestüm auf einen mir bekannten Professor und seine Frau zustürzte und mit ihnen davon sprach. Sie kamen sofort mit mir und luden Dr. Franklin bei sich zu Hause zum Essen ein. Als ich diese negerfeindliche Stimmung entdeckte, erschien sie mir wie eine offene Tür ins grosse Haus der Menschheit. Hier war ein beträchtlicher Teil meiner Mitmenschen, denen man die Rechte der Verfassung vorenthielt, unter deren Schutz sie geboren waren.

Seitdem habe ich über dieses Minoritätenproblem viel nachgedacht, gelesen und gesprochen. Ich habe viele Freunde, die Neger sind, und ich darf wohl behaupten, dass wir uns gut verstehen. Ich kenne Neger, die genauso kultiviert und verwöhnt sind und genauso gesunde Ansichten haben wie viele meiner weissen Freunde. Ich habe das Problem mit ihnen besprochen und weiss, dass sie nichts weiter verlangen als Chancengleichheit auf dem Gebiet der Erziehung, der Arbeitsmöglichkeiten und der Lebensverhältnisse. Ich habe noch nie einen getroffen, der nach sozialer Gleichstellung verlangte, obwohl sie auch diese mit der Zeit erlangen müssen und werden. Ich habe festgestellt, dass die Einstellung der kultivierten und gebildeten Neger gegenüber den unentwickelten Angehörigen ihrer Rasse eine vernünftige und gesunde ist. Ein prominenter Rechtsanwalt, ein Neger, sagte mir einmal: «Die meisten von uns sind Kinder, besonders im Süden, und wie alle heranwachsenden Kinder brauchen sie Liebe».

Vor ein paar Jahren erhielt ich in London einen Brief von einem Wissenschaftler, Dr. Just, der mich um eine Unterredung bat, da er von mir einiges gelesen hatte und mit mir darüber sprechen wollte. Ich lud ihn zum Frühstück in meinen Club ein, stellte bei seiner Ankunft fest, dass er ein Neger war, und noch dazu ein sehr schwarzer Neger. Er war ein liebenswürdiger und interessanter Herr und befand sich auf dem Rückweg nach Washington, nachdem er an der Berliner Universität Vorlesungen gehalten hatte. Er war einer der führenden Biologen der Welt. Mein Mann und ich luden ihn ein, in unserem Haus in Tunbridge Wells zu übernachten, und es war uns ein sehr angenehmer Besuch. Eine meiner Töchter fragte ihn, ob er verheiratet sei, und ich erinnere mich noch, wie er sich zu ihr wandte und ihr sagte: «Mein liebes Fräulein, es würde mir nie im Traum einfallen, es einem Mädchen ihrer Rasse zuzumuten, mich zu heiraten und dann die unvermeidliche Ächtung zu erdulden; ich habe bislang kein Mädchen meiner eigenen Rasse gefunden, die mir die erwünschte, geistige Kameradschaft bieten könnte. Deshalb habe ich nie geheiratet». Zu meinem grossen Bedauern ist er inzwischen gestorben; ich hatte gehofft, mit diesem sehr gediegenen Mann engere Freundschaft schliessen zu können.

Ich wohnte nun schon sechsunddreissig Jahre hier in Amerika und muss sagen, dass mich die Haltung vieler Amerikaner gegenüber ihren Neger-Mitbürgern immer mehr empört, in Staunen versetzt und erschreckt. Das Problem muss gelöst, und den Negern ein gebührender Platz im nationalen Leben eingeräumt werden. Sie können und dürfen auf die Dauer nicht unterdrückt werden. Die Neger selbst müssen durch ihr Benehmen ihre Ansprüche als gerechtfertigt beweisen, und wir anderen müssen unsererseits dafür sorgen, dass die abscheulichen Äusserungen und der vergiftende Hass von Leuten wie Senator Bilbo und vieler anderer Gleichgesinnter nicht länger geduldet werden. Wiederum betone ich (ohne dabei für die Zukunft prophezeien zu wollen), dass das Problem meiner Ansicht nach derzeit nicht durch Mischheirat gelöst werden kann. Es muss gelöst werden durch unerschrockene Gerechtigkeit durch die Erkenntnis der Tatsache, dass alle Menschen Brüder sind, und dass es unsere eigene Schuld ist, wenn der Neger überhaupt ein Problem darstellt. Wenn es ihm an Schulbildung mangelt, und seine Ausbildung als Staatsbürger zu wünschen übrig lässt, dann ist dies wiederum unsere Schuld. Es ist Zeit, dass prominente Weisse und Kongressmitglieder beider Häuser und beider Parteien endlich damit aufhören, nach Demokratie und freiem Wahlrecht im Balkan und anderswo zu schreien, und die gleichen Prinzipien auf ihre eigenen Südstaaten anwenden. Man wird mir hoffentlich diesen Gefühlsausbruch verzeihen, aber ich bin nun einmal sehr stark an dieser Frage interessiert.

Diese Negerfrau, Mrs. Snyder, bemutterte mich Monate lang und sorgte für mich, bis meine älteste Tochter geboren wurde; sie holte mir ihren eigenen Arzt, der kein Neger, aber auch nicht besonders gut war, und ich erhielt deshalb auch nicht die geschickte Behandlung, die ich brauchte. Dafür konnte sie natürlich nichts, denn sie sorgte für mich so gut sie konnte. Ich habe merkwürdigerweise bei der Geburt meiner drei Kinder immer Pech gehabt und nur einmal hatte ich eine geprüfte Krankenschwester bei mir. Auf alle Fälle hatte ich keine fachgerechte Pflege, als mein erstes Kind geboren wurde. Walter Evans geriet vollends aus dem Häuschen und beanspruchte den Arzt am meisten für sich, aber Frau Snyder war mir eine starke Stütze, und ich werde sie nie vergessen. Später sandte mir der Arzt eine ungeprüfte Krankenpflegerin, aber sie war so unqualifiziert, dass ich sehr unter ihrer Behandlung litt und drei sehr unbehagliche und qualvolle Monate durchzumachen hatte.

Dann zogen wir aus dem Seminar fort und nahmen anderswo eine kleine Etagenwohnung, wo ich zum ersten Mal mit einem kleinen Baby und aller Hausarbeit allein war. Bis dahin hatte ich noch nie ein Taschentuch gewaschen, ein Ei gekocht oder eine Tasse Tee zubereitet und ich war also eine vollkommen unpraktische junge Frau. Die schwere Lehrzeit, die ich deshalb durchzumachen hatte, veranlasste mich, meinen drei Töchtern alles beizubringen, was man im Haushalt wissen muss, und sie wissen über alles Bescheid. Es war bestimmt keine leichte Zeit für Walter Evans, und ich stellte damals - als wir allein lebten und uns niemand zuhören konnte - zum erstenmal fest, dass er zu furchtbaren Wutausbrüchen neigte.

Mein Waterloo war die wöchentliche Wäsche. Ich ging zu diesem Zweck gewöhnlich in den Keller, der mit den üblichen eingebauten Waschzubern ausgerüstet war. Ich hatte alle meine Kindersachen aus England mitgebracht, sie waren wunderhübsch, ellenlang, aus schönstem Flanellstoff, mit echtem Spitzeneinsatz, fast unbezahlbar, von jedem ein Dutzend; es war einfach ein Jammer und eine Schande, wie ich diese Sachen zurichtete. Als sie aus meiner Wäsche kamen, sahen sie höchst merkwürdig aus. Eines Morgens hörte ich jemand an meine Tür klopfen und fand eine Frau, die das Stockwerk unter mir bewohnte. Sie sah mich mitleidig an und sagte: «Hören sie zu, Frau Evans, es ist Montagmorgen, und ich kann's einfach nicht länger aushalten. Ich bin ein englisches Dienstmädchen, und sie sind eine englische Lady, und ich bin vernünftig genug zu wissen, was das bedeutet. Es gibt Dinge, die ich weiss und die sie nicht wissen, und sie werden jeden Montagmorgen mit mir hinuntergehen, solange ich's für nötig halte, und ich werde ihnen beibringen, wie man Kleidungsstücke wäscht». Sie sagte das, als hätte sie es vorher auswendig gelernt, und sie hielt ihr Wort. Heute gibt es nichts, was ich über Wäschewaschen noch lernen könnte, und das verdanke ich alles dieser Frau Schubert. Hier ist wieder einmal ein Beispiel, wie sich jemand, für den ich nichts getan hatte, einfach als menschlich und freundschaftlich erwies, und ich gewann einen neuen, kleinen Einblick ins Haus der Menschheit. Sie und ich wurden echte Freundinnen, und sie stand mir gewöhnlich zur Seite, wenn Walter Evans wieder einmal tobte. Immer wieder habe ich in ihrer kleinen Wohnung Zuflucht gesucht. Ich möchte gern wissen, ob sie und Frau Snyder noch leben; wahrscheinlich nicht, denn sie würden wohl zu alt sein.

Als Dorothy ungefähr sechs Monate alt war, fuhr ich zu meinen Verwandten nach England auf Besuch; mein Mann sollte indessen seine theologische Ausbildung beenden und ordiniert werden. Dies war für die nächsten zwanzig Jahre mein letzter Besuch in England und es sind damit für mich keine besonders freudigen Erinnerungen verknüpft. Ich konnte meinen Verwandten nicht sagen, dass ich unglücklich war und einen Fehler begangen hatte. Das erlaubte mir mein Stolz nicht, aber sie ahnten es zweifellos, obwohl sie keine Fragen stellten. Während ich drüben war, heiratete meine Schwester meinen Vetter, Laurence Parsons. Dabei kam es zu der üblichen Familienzusammenkunft im Haus eines Onkels. Ich blieb nur wenige Monate in England und kehrte wieder nach Amerika zurück. Inzwischen hatte mein Mann sein Seminarexamen bestanden, war ordiniert worden und an eine Pfarrstelle unter dem Bischof von San Joaquin nach Kalifornien geschickt worden. Das war mein Glück, denn der Bischof und seine Frau wurden mir aufrichtige Freunde. Von der Frau höre ich noch heute. Meine jüngste Tochter ist nach ihr benannt, und sie ist einer von den Menschen, die ich innigst liebe; ich komme noch auf sie zurück.

Ich fuhr auf einem kleinen Schiff, das in Boston anlegte, in die Staaten zurück. Es war bestimmt die schlimmste Reise, die ich je durchmachte - ein kleines, schmutziges Schiff, vier Personen teilten eine Kabine, und die Mahlzeiten fanden an langen Tischen statt, wobei die Männer den Hut auf dem Kopf behielten. Noch heute denke ich daran wie an einen Alptraum. Aber auch alles Schlimme nimmt einmal ein Ende, und wir kamen bei strömendem Regen in Boston an; ich war ganz verzweifelt. Ich hatte schlimmes Kopfweh; mein Reise-Necessaire mit all den Toilettensachen aus massivem Silber, das meiner Mutter gehört hatte, war mir gestohlen worden, und Dorothy, fast schon ein Jahr alt, war schwer zu tragen. Ich hatte meine Fahrkarte in Cooks Reisebüro gelöst und dessen Agent war an Bord gekommen. Er brachte mich zum Bahnhof, wo ich bis Mitternacht warten musste; nachdem er mir neue Instruktionen gegeben und mir eine Tasse starken Kaffee verabreicht hatte, verliess er mich. Ermattet sass ich den ganzen Tag auf der Station und bemühte mich, ein unruhiges kleines Kind zu besänftigen. Als die Abfahrtszeit des Zuges herannahte, und ich mir gerade Gedanken darüber machte, wie ich mit allem zu Rande käme, da schaute ich plötzlich auf und sah den Cook-Agenten in Zivil neben mir stehen. «Ich habe mir heute morgen und den ganzen Tag über Sorgen um sie gemacht und so dachte ich mir, dass es wohl besser wäre, wenn ich sie selbst zum Zug brächte». Darauf nahm er das Baby, holte einen Gepäckträger und verfrachtete mich so bequem wie möglich in den Zug nach Kalifornien. Die Touristen-Schlafwagen waren damals nicht so bequem eingerichtet wie heute. Wiederum wurde mir unverdient eine Freundlichkeit von jemandem zuteil, für den ich nichts getan hatte. Dabei möchte ich durchaus nicht den Eindruck erwecken, als ob ich vielleicht etwas so Charmantes und Nettes an mir gehabt hätte, dass mir die Leute ganz von selbst halfen. Ich habe im Gegenteil das Gefühl, dass ich alles andere als nett war. Ich war ziemlich hochnäsig und so zurückhaltend, dass mir fast die Zunge im Hals stecken blieb; ich war schrecklich britisch. Nein, das war nicht der Grund, sondern einfach die Tatsache, dass die meisten Menschen von Natur aus freundlich sind und gerne helfen. Ich erinnere den Leser daran, dass, das zu beweisen mit ein Zweck dieses Buches ist. Ich denke mir keine Beispiele aus, sondern berichte tatsächliche Vorkommnisse.

Mein Mann war zuerst Pfarrer einer kleinen Kirche in R..., und dort lernte ich die Pflichten einer Pfarrersfrau und die endlose Inanspruchnahme ihrer Zeit kennen. Ich wurde mit dem eigentlichen weiblichen Aspekt des Gemeindelebens bekannt. Ich musste bei der Frauenhilfe zugegen sein. Ich musste Gemeindeversammlungen für Mütter abhalten, immer in die Kirche gehen und ewig und unaufhörlich Walters Predigten mit anhören. Wie alle Pfarrer und ihre Familien in jenen Missionsbezirken, lebten wir in der Hauptsache von Hühnern und ich lernte verstehen, warum das Huhn ein heiliger Vogel ist - weil nämlich so viele Tiere dieser Gattung im Pfarrhaus enden.

Diese Zeit bedeutete für mich eine weitere Phase der Bewusstseins-Erweiterung. Nie in meinem Leben hatte ich eine Gemeinde wie diese kleine Stadt kennengelernt. Es wohnten ungefähr fünfzehnhundert Menschen an dem Ort, aber es gab dort elf Kirchen, mit je einer winzigen Gemeinde. Unter den Ranch-Besitzern der weiteren Umgebung befanden sich kultivierte Männer und Frauen die in der Welt herumgekommen und belesen waren. Hin und wieder kam ich mit einigen von ihnen zusammen. Hauptsächlich waren es jedoch kleine Kaufleute, Eisenbahner, Handwerker Leute, die in den Wein- und Obstplantagen arbeiteten, und Schullehrer. Das Pfarrhaus war ein kleiner, einstöckiger «Bungalow» mit sechs Zimmern und lag zwischen zwei grösseren Häusern. In dem einen wohnten zwölf Kinder mit ihren Eltern, und ich lebte daher inmitten eines ewigen Kindergeschreis und -gewimmels. Die kleine Stadt war typisch mit ihren falschen Häuserfronten, mit Pfosten zum Festmachen der Wagenpferde (denn Automobile waren noch eine Seltenheit) und mit dem Dorfpostamt, wo aller Klatsch und alles Gerede entstand und in Umlauf kam. Das Klima war wirklich sehr angenehm, trotz grosser Hitze und Trockenheit im Sommer. Im kulturellen, mentalen und geistigen Sinn fühlte ich mich jedoch vollkommen isoliert. Ich hatte scheinbar niemand, mit dem ich sprechen konnte. Keiner hatte irgend etwas gesehen oder gelesen, und das einzige Gesprächsthema schien sich um Kinder, Ernte, Essen und örtlichen Klatsch zu drehen. Monatelang trug ich meine schnippische, kleine Nase hoch und stellte fest, dass niemand gut genug war, um mit mir zu verkehren. Natürlich erfüllte

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.