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Die unvollendete Autobiographie, Seite 207 ff. (engl.)
einziges Kleidungsstück selbst zu kaufen. Ich trage noch heute die Kleider, die sie mir gab. All meine Schmucksachen stammen von ihr. Ich brachte wunderschöne Spitzen und Schmucksachen mit, als ich in dieses Land kam, aber ich musste alles verkaufen, um unseren Lebensunterhalt zu bestreiten; und sie sorgte dafür, dass mir einiges davon ersetzt wurde. Sie schickte die Mädchen in die Privatschule und zahlte stets unsere Schiffskarten, wenn wir nach Europa und wieder zurückfuhren. Wir standen einander so nahe, dass sie automatisch Bescheid wusste, wenn ich krank war. Ich weiss noch, als ich vor einigen Jahren in England erkrankte, wie sie mir innerhalb weniger Stunden telegraphisch 500 engl. Pfund überwies, da sie wusste, wie es um mich stand, und dass ich das Geld vielleicht brauchen würde.

Unsere telepathische Verbindung war ausserordentlich stark und hat sogar nach ihrem Tod weiterbestanden. Wenn nach ihrem Dahinscheiden etwas in ihrer Familie passierte, besprach sie das telepathisch mit mir. Obwohl ich davon nichts wissen konnte, erfuhr ich später natürlich, worum es sich handelte, und ich stehe auch heute noch sehr oft mit ihr in Verbindung. Sie besass ein sehr tiefgründiges Wissen von der Ewigen Weisheit, aber sie hatte Furcht vor den Menschen; sie fürchtete, man könne sie missverstehen; sie fürchtete, dass die Leute sie nur um ihres Geldes willen schätzten, und sie fürchtete sich im Grund vor dem Leben selbst. Ich denke, ich habe ihr in dieser Hinsicht helfen können, denn sie achtete mein Urteil und fand, dass es sich häufig mit ihrem eigenen deckte. Ich war gewissermassen ihr Sicherheitsventil. Sie wusste, dass sie mir alles sagen konnte, ohne dass ich es weitererzählte. Selbst als sie im Sterben lag, dachte sie an mich, und wenige Tage vor ihrem Tod erhielt ich einen Brief von ihr, den ich kaum entziffern konnte, in dem sie mir über ihren Zustand berichtete. Der Brief wurde mir von einer dritten Person zugesandt. Eins von den Dingen, auf die ich mich bei meinem Übergang ins Jenseits freue, ist ein Wiedersehen mit ihr, denn sie hat mir versprochen, sich zu meinem Empfang einzustellen. Während ihres irdischen Daseins amüsierten wir uns und lachten über die gleichen Dinge; wir liebten auch die gleichen Farben Ich habe mich oft gefragt, was sich wohl in meiner Vergangenheit getan haben könnte, um in der Gegenwart solch eine Freundin zu verdienen.

Zweimal im Jahr ging sie in ein Geschäft und kaufte mir acht oder neun Kleider. Sie kannte genau meinen Geschmack und die Farben, die mir standen, und zweimal im Jahr ging ich dann nach Empfang dieser wunderschönen Sachen an meinen Schrank, um die gleiche Anzahl vorjähriger Kleider an persönliche Freundinnen zu schicken, von denen ich wusste, dass sie in Not waren. Ich halte nichts davon, dass man für sich selbst Sachen aufstapelt, denn ich weiss, was es heisst, gewisse Kleider oder Mäntel zu brauchen, die man sich nicht leisten kann. Die Armut unter Leuten der besseren Klasse, von denen man eine gewisse äussere Aufmachung erwartet, ist eine weit bitterere Erfahrung, als manche anderen Arten von Armut. Sie nehmen nicht gern Almosen an und können nicht betteln gehen, aber sie lassen sich unter Umständen von jemandem überreden, der ihnen beispielsweise schreibt, wie ich das in diesem Falle zu tun pflegte: «Ich habe gerade eine Menge neuer Kleider geschenkt bekommen, und ich kann unmöglich alles tragen, was ich habe. Ich würde mir unersättlich vorkommen, wenn ich alles für mich behielte; deshalb sende ich ihnen einige davon und es würde mich wirklich freuen, wenn sie diese annähmen». Die Freude, die der Besitz guter und passender Kleidung mit sich bringt, verdanke ich also nicht mir selbst, sondern ganz allein dieser Freundin.

Es wird mir schwer, über Leute, die mir am meisten bedeuten, so zu sprechen, wie ich das wirklich möchte. Das empfinde ich in diesem Fall, es trifft aber vor allem auf Foster Bailey, meinen Mann, zu. Wir haben uns das überlegt und sind zu dem Entschluss gekommen, dass ich das, was ich über ihn sagen möchte, unmöglich in dieser Autobiographie darlegen könnte.

Eine andere interessante Freundschaft entwickelte sich damals, und sie deutet auf bezeichnende Zusammenhänge, die sich wahrscheinlich nicht so sehr in diesem als im nächsten Leben auswirken dürften. In der Stadt New York gibt es einen sogenannten Adelsklub. Eines Tages lud mich ein Mitglied dieses Klubs dorthin ein, um den Grossfürsten Alexander sprechen zu hören. Er war ein Sohn eines früheren Zaren von Russland und Schwager des verstorbenen Zaren Nikolaus. Ich war hauptsächlich aus Neugierde hingegangen und fand einen Raum, der mit der Elite adliger und königlicher Persönlichkeiten überfüllt war, die sich damals in New York zusammengefunden hatten. Alle erhoben sich, als der Grossfürst erschien und sich in einem Sessel auf dem Podium niederliess. Als wir uns wieder gesetzt hatten, blickte er uns alle sehr ernst an und sagte: «Ich hoffe, sie werden vorübergehend vergessen können, dass ich Grossfürst bin, denn ich möchte mit ihnen über ihre Seelen sprechen». Ich richtete mich erstaunt und erfreut auf und sagte am Ende seiner Ansprache zu der neben mir sitzenden Freundin, Baronin -, «Wie gern möchte ich doch den Grossfürsten mit Leuten in diesem Land in Verbindung bringen, die sich nichts daraus machen, ob er Grossfürst ist oder nicht, sondern die ihn um seiner selbst und seiner Botschaft willen schätzen würden». Das war alles, und ich dachte auch nicht weiter daran.

Am nächsten Morgen klingelte in meinem Büro das Telefon, und eine Stimme sagte: «Seine Kaiserliche Hoheit würden sich freuen, wenn Frau Bailey sich um 11 Uhr im Ritz einstellen würde». Frau Bailey fand sich also um 11 im Ritz ein. In der Halle erwartete mich der Sekretär des Grossfürsten. Er setzte sich mit mir hin und sagte, indem er mich feierlich ansah: «Was wollen Sie eigentlich vom Grossfürsten, Frau Bailey?» «Gar nichts», antwortete ich mit erstauntem Blick, «ich habe keine Ahnung, warum ich hier bin». «Aber», sagte Herr Roumanoff, «der Grossfürst sagte mir, sie wollten ihn sehen». Darauf erklärte ich ihm, ich hätte keinerlei Schritte unternommen, um den Grossfürsten zu sehen und hätte keine Ahnung, was er von mir wolle. Ich erzählte ihm, dass ich die Ansprache des Grossfürsten am vorhergehenden Nachmittag mit angehört und nachher einer Freundin gegenüber den Wunsch geäussert hätte, ihn mit gewissen Leuten zusammenzubringen. Darauf führte mich Herr Romanoff nach oben in die Wohnung des Grossfürsten, und nachdem ich meinen Hofknicks gemacht und Platz genommen hatte, fragte er mich, was er für mich tun könne. Ich sagte «Nichts», und fuhr dann fort, ihm zu erklären, dass es in Amerika Leute gebe wie Frau du Pont Ortiz, die ebenso dächten wie er, die in reichen Häusern wohnten, aber selten Vorlesungen besuchten; ich hoffte, er wäre vielleicht gewillt, einige von ihnen kennenzulernen. Darauf versicherte er mir, er werde alles tun, was ich von ihm verlangte, und dann sagte er: «Jetzt wollen wir aber von ernsteren Dingen sprechen». Wir verbrachten ungefähr eine Stunde im Gespräch über geistige Dinge und über das Bedürfnis der Welt nach Liebe. Er hatte gerade damals ein Buch veröffentlicht mit dem Titel «Die Religion der Liebe», und es lag mir sehr daran, diesem Buch einen grösseren Leserkreis zu verschaffen.

Als ich wieder im Büro war, rief ich Alice Ortiz an und bat sie, nach New York zu kommen und im Ambassador Hotel ein Frühstück für den Grossfürsten Alexander zu arrangieren. Sie weigerte sich prompt. Ebenso prompt redete ich ihr zu, bis sie schliesslich einwilligte. Sie kam auch und gab die Frühstücksgesellschaft. Während des Essens wandte sich Herr Roumanoff zu mir und sagte: «Wer sind sie eigentlich, Frau Bailey? Wir können nichts über sie herausfinden». Ich versicherte ihm, dass mich das keineswegs überrasche, denn ich wäre niemand - bloss eine amerikanische Bürgerin englischer Herkunft. Er schüttelte den Kopf und war ganz verwundert; er sagte mir, der Grossfürst habe ihm erklärt, er wolle alles tun, was ich von ihm erwartete.

Das war der Anfang einer wirklichen Freundschaft, die bis zum Tod des Grossfürsten und darüber hinaus anhielt. Er traf sich regelmässig mit Foster und mir zu einem mehrtägigen Aufenthalt in Valmy; wir führten dort lange und interessante Gespräche. Was wir beide im Lauf dieser Freundschaft tief empfanden, war u.a. die Tatsache, dass wir unter der Haut alle gleich sind; ob nun von königlichem Geblüt oder von bescheidenster Herkunft, wir haben alle die gleichen Neigungen und Abneigungen, die gleichen Freuden und Leiden und denselben Drang, geistig vorwärtszukommen. Der Grossfürst war ein überzeugter Spiritist, und wir hatten in der Folge allerlei Unterhaltung dadurch, dass wir im grossen Empfangszimmer meiner Freundin Alice kleine Séancen abhielten.

Eines Nachmittags rief Herr Roumanoff meinen Mann an und fragte, ob wir an dem Abend nichts vorhätten, und wenn nicht, ob wir bereit wären, den Grossfürsten an zwei Plätze zu bringen, wo er sprechen sollte. Wir sagten gern zu und brachten ihn an seinen Bestimmungsort; nach seiner Ansprache retteten wir ihn vor Autogrammjägern. Auf der Rückfahrt zum Hotel wandte sich der Grossfürst plötzlich zu mir und sagte: «Frau Bailey, würde es ihnen etwas bedeuten, wenn ich ihnen sagte, dass auch ich den Tibeter kenne?» «Unbedingt», sagte ich, «es würde mir sogar sehr viel bedeuten». «Also gut», fuhr der Grossfürst fort, «sie verstehen wohl das Dreieck, sie, Foster und ich». Das war, glaube ich, das letzte Mal, dass wir ihn zu Gesicht bekamen. Er begab sich bald darauf nach dem Süden Frankreichs, und wir gingen nach England.

Ein paar Jahre später sass ich eines Morgens so gegen 6.30 Uhr lesend im Bett, als zu meinem Erstaunen der Grossfürst in dem dunkelblauen Hausgewand, das er so oft trug, ins Zimmer trat. Er sah mich an, lächelte, winkte mit der Hand und verschwand wieder. Ich ging zu Foster und sagte ihm, der Grossfürst sei gestorben. So war es denn auch. Am nächsten Tag las ich seinen Nachruf in der Zeitung. Bevor er Amerika verliess, hatte er mir sein Photo geschenkt, natürlich mit Widmung, und nach ungefähr einem Jahr verschwand es. Es war einfach nicht mehr zu finden, und da er nicht mehr am Leben war, bedauerte ich das besonders, ich war sicher, dass irgendein Autogrammjäger es mir gestohlen hatte. Als ich einige Jahre später in New York die dreiundvierzigste Strasse hinunterging, sah ich den Grossfürsten plötzlich auf mich zukommen. Er lächelte mir im Vorbeigehen zu, und als ich oben in meinem Büro ankam, da fand ich die verlorene Photografie auf meinem Schreibtisch liegen. Offenbar bestand auf geistiger Ebene ein enges Band zwischen dem Grossfürsten, Foster Bailey und mir. In einem späteren Leben werden wir erfahren, warum wir in diesem Leben zusammenkamen und Freundschaft sowie gegenseitiges Verstehen entwickelten.

Ein Leben darf nicht als Einzelvorgang, sondern es muss als eine Episode innerhalb einer Reihe von Leben angesehen werden. Was sich heute auswirkt, die Freunde und Familienmitglieder, mit denen wir verbunden sind sowie die Qualität, der Charakter und das Temperament, die wir heute aufweisen, all das ist lediglich die Gesamtsumme unserer Vergangenheit. Was wir im nächsten Leben sein werden ist das Ergebnis dessen, was wir in diesem Leben gewesen sind und getan haben.

Dies waren sehr ertragreiche Jahre. Die Schule war in ständigem Wachsen, und ich gewann innerlich ein Gefühl der Zuversicht und erkannte, dass ich das Werk gefunden hatte, von dem K. H. im Jahr 1895 zu mir gesprochen hatte. Die Lehren von der Wiedergeburt und vom Gesetz der Ursache und Wirkung hatten die Probleme gelöst, die mein Denken früher beunruhigt hatten. Die Hierarchie war mir bekannt. Man hatte mir den Vorzug gewährt, mit K. H. in Verbindung zu treten, wenn ich wollte, weil man sich jetzt darauf verlassen durfte, dass ich meine persönlichen Angelegenheiten aus seinem Ashram heraushalten würde; und meine Nützlichkeit in seinem Ashram und damit auch in der Welt hatte sich vergrössert. Die Bücher des Tibeters fanden immer mehr Anerkennung in der Welt. Ich hatte auch selber einige Bücher geschrieben, die guten Anklang fanden, und hatte sie hauptsächlich zum Beweis dessen geschrieben, dass man sogenannte psychische Arbeit leisten, wie ich für den Tibeter, und doch noch seinen eigenen Verstand behalten und ein intelligentes Menschenwesen sein kann. Durch die Bücher und durch die wachsende Mitgliederzahl in der Schule kamen Foster und ich mit immer mehr Leuten auf der ganzen Welt in Verbindung. Wir erhielten einen Strom von Briefen mit Anfragen, Gesuchen um Unterstützung oder mit Vorschlägen zur Gründung einer Gruppe in diesem oder jenem Land.

Ich habe seit jeher der Theorie beigestimmt, dass die tiefsten und im eigentlichsten Sinn esoterischen Wahrheiten der breiten Masse unbesorgt und mit lauter Stimme verkündet werden können und dass daraus unmöglich ein Schaden erwachsen könne, solange ein innerer geistiger Wahrnehmungsapparat noch fehlt. Dadurch würden Schweigegelübde ihre Bedeutung verlieren. Es gibt keine Geheimnisse. Es gibt nur die Darstellung der Wahrheit und deren verständnisvolles Erfassen. In der Gedankenwelt der Allgemeinheit besteht mancherlei Unklarheit über den Unterschied zwischen Esoterik und Magie. Magie ist eine Betätigungsart auf der physischen Ebene, wodurch Substanz und Materie, Energie und Kraft in Verbindung gebracht werden, um Erscheinungsformen zu erschaffen, durch welche das Leben zum Ausdruck kommen kann. Diese Betätigung ist gefährlich, weil sie es mit Elementarkräften zu tun hat, und selbst diejenigen, die reinen Herzens sind, brauchen Schutz dabei. Esoterik ist in Wirklichkeit die Wissenschaft von der Seele. Sie betrifft das lebendige, geistige, vitale Prinzip, das in jeder Erscheinungsform zu finden ist. Sie bewirkt eine Einheit sowohl in Zeit als auch im Raum. Sie motiviert und verwirklicht den grossen Plan vom Standpunkt des Aspiranten aus. Sie ist die Wissenschaft vom Pfad, unterweist den Menschen in den Methoden des kommenden Übermenschen und befähigt ihn damit, den Pfad der höheren Evolution zu

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.